Problembereich 1 -
Bisherige Wahrnehmung: dramatische Endphase der Erkrankung
Sowohl in der Öffentlichkeit wie auch zum Teil bei den Anbietern professioneller Hilfen wird als Erscheinungsbild der Erkrankung nur die Endphase, die insbesondere den Angehörigen und dem Pflegepersonal körperliche und psychische Höchstleistungen im Rahmen einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung abverlangt, wahrgenommen. Die vieljährige Phase ("der lange Weg der Erkrankung"), in der die Alltagskompetenz nur langsam nach und nach in unterschiedlichen Bereichen verloren geht, bleibt meist ohne Beachtung. Damit gehen entscheidende Möglichkeiten der Verbesserung der Alltagssituation, des Wohlbefindens und der Verzögerung des Krankheitsverlaufes verloren.
Problembereich 2 -
Störfaktor Demenzkranker: Exklusion
Menschen mit einer sich entwickelnden Demenz zeigen im Alltag oftmals Verhaltensweisen, die als störend empfunden werden. Gleichzeitig spüren die Kranken selbst, dass ihnen im Alltagsvollzug Fehler und Nachlässigkeiten unterlaufen, die die Zuwendung von Kontaktpersonen stören. Aus diesen Gründen werden Demenzkranke aus gewachsenen sozialen Bindungen einerseits ausgegrenzt, andererseits ziehen sie sich aus diesen Strukturen selbst zurück. Die Beendigung der Inklusion Erkrankter führt zu Defiziten der Kommunikation, dem Verlust der Wertschätzung kranker Menschen und noch vorhandene Handlungskompetenzen gehen so verloren. Eine Beschleunigung des Krankheitsprozesses ist die Folge.
Problembereich 3 -
Ärztliche Diagnostik und Betreuung: oft sehr spät
Die Inanspruchnahme des Hausarztes wegen beginnender kognitiver Defizite erfolgt eher durch Menschen ohne Demenz als durch Menschen mit Demenz. Regelmäßige ärztliche Betreuung erfolgt meist erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung. Damit werden gelegentlich die Chancen vertan, die sich bei einer demenziellen Symptomatik bei behandelbarer Erkrankung ergeben. Eine spezialisierte ambulante ärztliche Betreuung existiert in Zwickau nicht.
Problembereich 4 -
Wohnumfeld : Lösungen oft schwierig
Wohnung und städtisches Umfeld bergen bei fortschreitendender Demenz Gefahren und Hindernisse (z.B. Elektrogeräte im Haushalt, Fahrscheinautomaten in öffentlichen Verkehrsmitteln), denen bisher nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Einerseits sind meist neue Gestaltungen notwendig und auch möglich. Aufgrund der eingeschränkten Lernfähigkeit von Demenzkranken ist aber die Anpassung an veränderte Bedingungen oftmals nicht mehr möglich.
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Problembereich 5 -
Versorgungsstrukturen und Alltagskompetenz: der Kranke ist kein König
Der alltägliche Kontakt von Menschen mit beginnender Demenz zu Handels- und Dienstleistungseinrichtungen ist oftmals außerordentlich schwierig. Von wenigen lobenswerten Beispielen abgesehen, ist die Bereitschaft der Leiter/Eigentümer dieser Einrichtungen zu Informationsveranstaltungen, in denen Verständnis für das Verhalten des Kunden und Handlungsstrategien vermittelt werden, und deren alltäglicher Anwendung gering. Beiläufige Hilfeleistungen durch Beschäftigte in Handels- und Dienstleistungseinrichtungen und zufällig anwesende Kunden sind die Ausnahme.
Problembereich 6 -
Nachbarschaftliche Hilfen: Kein Bedarf?
Ein wachsender Bedarf an Hilfeleistungen beim Alltagsvollzug ist besonders bei allein lebenden Menschen mit beginnender Demenz offenbar. Dennoch wird von den Kranken selbst kein Bedarf an Unterstützung zur Alltagsbewältigung geäußert. So entsteht die Situation, dass Nachbarn manchmal zwar ihre Bereitschaft zur nachbarschaftlichen Hilfeleistung bekunden, diese Bereitschaft aber nicht abgerufen und vermittelt werden kann.
Problembereich 7 -
Vorsorge für die Endphase der Erkrankung: große Defizite
Obwohl jeder durch eigene Erfahrung in Familie und Bekanntenkreis und durch Informationen durch die Medien weiß, welche Dramatik eine Endphase einer demenziellen Erkrankung mit sich bringt, sind die meisten Familien auf diese Zeit nicht hinreichend vorbereitet. Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung liegen häufig nicht vor. Langfristig praktikable Lösungen für eine Betreuung rund um die Uhr durch Familienangehörige sind oft nicht vorbereitet.
Problembereich 8 -
Tabu Demenz: wie aufbrechen?
Im Gegensatz zu körperlichen Erkrankungen und Behinderungen werden Erkrankungen, die mit kognitiven und emotionalen Störungen verbunden sind, als "unanständige" Krankheiten empfunden. Das gilt ganz besonders auch für demenzielle Erkrankungen. Der Kranke selbst und die unmittelbaren Angehörigen verdrängen die sich langsam entwickelnden Krankheitssymptome nicht selten oft über Jahre, nehmen keine von außen wirkende Hilfe in Anspruch, bis eine Beaufsichtigung oder gar Pflege des Kranken unumgänglich ist. Nur in Ausnahmefällen bekennen sich Demenzkranke offen und noch seltener öffentlich zu ihrer Erkrankung.
Alle Maßnahmen, die die Lebensqualität und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen, können aber nur rechtzeitig und erfolgreich umgesetzt werden, wenn das Tabu, mit dem Demenz belegt ist, nach und nach gebrochen wird.
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